Bau der Passstraße Tovena - Trichiana im Ersten Weltkrieg 1918

Die Passstraße im Original-Zustand

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Fotoschau

Lage: Norditalien, Provinz Venetien

Geo-Koordinaten der Passhöhe:
Nord 46.00497 Ost 12.16971 Höhe: 706m

Der Sant-Ubaldo-Pass (ital. Passo San Boldo) überwindet in Norditalien den letzten Höhenzug der Alpen vor der venetischen Tiefebene auf einer Höhe von 706 Meter. Die Straße über diesen Pass entstand als strategische Militärstraße im Ersten Weltkrieg, als die österreichisch-ungarische Armee im Jahr 1917 im Kampf gegen die italienischen Angreifer nach der erfolgreichen Schlacht von Karfreit bis zum Fluss Piave vorrückte. Die logistische Versorgung der neuen Piave-Front mit Truppen, Material und schwerer Artillerie erwies sich als schwierig. Das Kommando der 6. österreichisch-ungarischen Armee beschloss daher, den bestehenden Saumpfad über den Sant-Ubaldo-Pass zu einer militärisch nutzbaren Straße auszubauen. Der enge Talkessel nördlich von Tovena mit seinen beinahe senkrechten ca. 100 m hohen Feldwänden stellte das Projekt vor große Herausforderungen.

Kommandant der Bautruppe war der Oberst der Sappeure, Nikolaus Waldmann. Die Bautruppe bewältigte im Frühjahr 1918 die Aufgabe trotz der enormen Schwierigkeit des Geländes in kurzer Zeit, was dem Projekt den Namen „Straße der 100 Tage“ einbrachte. Beim Bau wurden neben der militärischen Bautruppe auch Kriegsgefangene und Alte und Frauen aus der örtlichen Bevölkerung eingesetzt. Die kühne Trassenführung und die meisterhafte Anlage der Straße erweckt auch heute noch höchsten Respekt. Auf halber Passhöhe erinnert eine große steinerne Tafel an den Bauleiter Nikolaus Waldmann. Bei einer Renovierung der Tafel wurde sein Name leider falsch als „Waldemann“ in den Stein gehauen. Waldmann schrieb 1933 über den Bau einen Artikel in den Militärwissenschaftlichen Mitteilungen, der als historisches Dokument hier originalgetreu wiedergegeben wird.




Österreichisch-ungarischer Kriegs-Straßenbau
Tovena—Trichiana im Frühjahr 1918
Von Oberst d. R. Nikolaus W a l d m a n n
Mit Tafel X und 2 Textbildern

Veröffentlicht 1933 in den Militärwissenschaftlichen Mitteilungen

1. Zweck der Straße und Vorgeschichte des Baues

Als die Stoßkraft der zur 12. Isonzoschlacht angesetzten Armeen im Spätherbst 1917 erschöpft war, stockte das Vordringen am Unterlauf des Piave und im Hochgebirgsraum zwischen mittlerem Piave und der Brenta. Hier, am Mt. Grappa, hatten die letzten Kämpfe zur Verbesserung der Kampflinie stattgefunden und zu einer Dauerfront geführt, die nur aus dem Becken von Feltre versorgt werden konnte. Dieses entbehrte aber jeder unmittelbaren Verbindung von hinten. Es konnte nur auf minder leistungsfähigen kombinierten Nachschublinien von der Bahnstation Primolano im Suganatal und vom Pustertal über Cortina d'Ampezzo und die Sackbahn im oberen Piavetal erreicht werden. Selbst die Summe der Leistungen dieser zwei Etappenlinien reichte nicht aus, um herbeizuschaffen, was dieser Frontteil brauchte. Um so störender war es daher, daß der Raum Belluno—Feltre von den leistungsfähigen Verbindungen der venetianischen Ebene nach Vittorio durch einen 30 km langen felsigen Gebirgszug zwischen Mt. Cesen Δ 1570 und Col Vicentin Δ 1765 getrennt war, der nur auf einer fahrbaren Linie, der bald tief zerwühlten Straße Vittorio—Ponte nell'Alpi östlich umfahren werden konnte, um den Nachschubrest zusammen mit allen Marschbewegungen hinter der Front ans Ziel zu bringen.

Die Schaffung einer fahrbaren Verbindung über den trennenden Rücken war daher von taktischem und operativem Vorteil.

Skizze 1 Landkarte

Die allgemeine Lage dieser erstrebten Verbindung war durch die tiefste Einsattelung des Gebirgszuges bei S. Ubaldo (706 m) gegeben und die Linienführung von Tovena (257 m) nach Trichiana durch bestehende dürftige Wegverbindungen angedeutet.

Der Bau dieser Straße, insbesondere die Überwindung der in ihrem Zuge befindlichen Felsschlucht von S. Ubaldo, war eine der letzten von den zahlreichen technischen Hochleistungen im Gebirgsstraßenbau der öst.-ung. Armee im Weltkriege. Die 15 km lange neue Straße Tovena—Trichiana kürzte den Fassungsweg für Fuhrwerke von Vittorio nach Feltre um rund 30 km ab (Skizzen 1 und 2). Für Truppenverschiebungen im engeren Frontbereich beiderseits des Piave betrug die Verkürzung fast 50 km. Das Armeekommando in Vittorio förderte daher diesen Bau auf jede Weise.

Der Baubeginn erfolgte am 1. Februar 1918 mit einigen Baukompagnien (etwa 500 Mann), die Baugruppe wuchs durch immer neue Zuteilungen bis zum Schlusse des Baues, Ende Juni, auf mehr als 7000 Mann an. Sie bestand schließlich nicht nur aus Baukompagnien, sondern auch aus Sappeur-, Pionier- und Infanteriekompagnien, Bohrzügen, Beleuchtungsabteilungen, Personal für Schottermaschinen und Straßenwalzen, Autokolonnen und Tragtierstaffeln, dann aus italienischen, russischen und serbischen Kriegsgefangenen, aus aufgenommenen Zivilarbeitern sowie endlich aus einer Arbeitergruppe der Baufirma Janesch & Schnell in Wien, die früher am Karst Kavernen gebaut hatte und meist aus bosnischen Berufs-Steinarbeitern bestand.

Die Baugruppe war von einem deutschen Kommando schon im Dezember 1917 zur Verbesserung der in einer Karte durchgängig eingezeichneten Wegverbindung Tovena—Trichiana befohlen worden. Sie stellte fest, daß die Straße nur bis zur Schlucht von S. Ubaldo ausgebaut war, dort jäh abbrach und nur ein Saumweg auf die Höhe S. Ubaldo führte. Die Fortsetzung nach S. Antonio bildete ein Karrenweg, bis Trichiana ein 3 m breiter Fahrweg. Nach Bekanntwerden der tatsächlichen Verhältnisse hat das inzwischen hier zuständig gewordene 6. Armeekommando angesichts des Arbeits- und Zeitbedarfes zunächst von dem Bau einer durchlaufenden Straße abgesehen. Über Antrag des Baugruppenkommandos war aber in S. Ubaldo eine kleine Abteilung mit dem Auftrage zurückgelassen worden, den durch die Schlucht führenden Saumweg so zu verbessern, daß ihn Fuhrwerke in leerem Zustande benützen könnten. Dieses Ziel war in einigen Wochen erreicht.

Ende Jänner 1918 wurde die Baugruppe zum zweiten Male nach Tovena befohlen, diesmal mit dem bestimmten Auftrag des 6. AK., die Verbindung Tovena—Trichiana für den Verkehr schwerer Geschütze auszubauen.

Skizze 2 Straßenverlauf

2. Allgemeiner Arbeitsentwurf

Obwohl ein Fertigstellungstermin nicht gegeben worden war, entschloß sich die Bauleitung, angesichts der in der Schlucht von S. Ubaldo zu gewärtigenden technischen Schwierigkeiten jede nicht unbedingt notwendige Arbeit zu vermeiden und die Straße von Tovena bis zur Schlucht sowie den Fahrweg von S. Antonio nach Trichiana zu benützen. Damit waren Anfangs- und Endpunkt der eigentlichen Straßen-Neuherstellung gegeben. Da ein Durchbruch des Berges, geradlinig auf die Höhe ansteigend, zu lange gedauert hätte, mußte die neue Straßentrasse auf dem Boden der Schlucht entwickelt werden.

Die Fahrbahnbreite wurde mit 5.5 m, die Höchststeigung für längere Strecken mit 10 % und für kürzere Strecken mit 12 %, der kleinste Krümmungsradius der Straßenachse mit 10 m festgesetzt.

Da man anfänglich viel zu schwach war, um Kräfte an allen Teilstrecken einzusetzen, wurden zuerst nur die zwei schwierigsten Stellen, das waren die Schluchtstrecke bei S. Ubaldo und der Talgraben südlich S. Antonio in Angriff genommen.

Den Grundriß der Schlucht von S. Ubaldo, die von drei Seiten von fast lotrechten Felswänden umgeben ist, zeigt Skizze 3. Die Höhe der Felswände betrug am Fußpunkte der Schlucht etwa 100 m. In der Schlucht lag das Gerölle einer Steinmoräne unter 30—45° Neigung. Der alte Weg, der in diesem Gerölle aufwärts führte, bog am oberen Ende der Schlucht nach rechts und führte über eine mehrere Meter hohe Felsstufe in einen Felsspalt, der sich später als 2—4 m breite Rinne bis zur Höhe von S. Ubaldo hinaufzog.

Das neue Straßenstück hatte etwa 80 m Höhenunterschied zu überwinden, was eine Längenentwicklung von 800 m erforderte. Innerhalb der Schlucht hätte man mit Rücksicht auf die Ausmaße der Serpentinenköpfe höchstens 300 m Trasse entwickeln können. Es erübrigte daher nur, die Serpentinenköpfe rechts und links in die Felsen zu verlegen und außerdem zu trachten, noch vor Eintritt in die Schlucht Höhe zu gewinnen. Rechnete man für jeden der geplanten Kehrtunnels eine Länge von 50—60 m, so konnte bei gleichzeitigem Anbruch von beiden Seiten der Durchbruch jedes Richtstollens in 4—5 Wochen erfolgen. Die Dauer der Erweiterung auf eine Höhe von 3.50 m hing dann nur mehr von der Zahl der vorhandenen Arbeitskräfte und Maschinen ab.

Eine genaue Geländeaufnahme, zu der übrigens geeignete Hilfsmittel fehlten, erfolgte nicht. Mit Abwäglatten, Schrottwagen und Absehkreuzen wurde der Straßenzug im Gelände festgelegt; hiebei rechnete man für jeden Tunnel 5—6 m Steigung, setzte die ersten zwei Anbruchsstellen fest, visierte über die Schlucht mit Absehkreuzen und suchte nun auf der anderen Seite zwei Anbruchsstellen usw. Diese Arbeit war nach drei Tagen beendet, die Sprengarbeiten konnten begonnen werden. Die genaue Bestimmung des Zuges der Serpentinenköpfe erfolgte erst während des Fortschrittes der Arbeit.

Ernste Sorgen bereitete die Massenverteilung. Der Felsen war fest, eine Ausmauerung der Tunnelwände kaum erforderlich. Eine Nachfrage bei einem Fachgeologen der Armee beruhigte die Bauleitung. Man konnte also für die Straßendämme durch Erweiterung der Tunnels Material gewinnen. Viel bedenklicher war es, daß es bei gleichzeitigem Anbruch aller Tunnels und Aushebung der Fundamente für die Dämme zwischen den Tunnels zu Massenanhäufungen von Material kommen mußte, durch die der Betrieb nahezu lahmgelegt werden konnte. Aus diesem Grunde wurden nicht nur Wasserdurchlässe und später zu überbrückende Öffnungen für den Fuhrwerkverkehr (Brücke 1 und 4), sondern auch eine Reihe von Brückenöffnungen (2, 3 und 5), u. zw. in Ausmaßen von 6—9 m nur zu dem Zwecke vorgesehen, um störendes Material leicht abschieben zu können. Dies hat sich im Verlaufe des Straßenbaues bewährt.

Die zweite schwierige Stelle im Talgraben östlich S. Antonio bot dem Straßenentwurf wenig Hindernisse. Am Talgrunde führte über den dort tief eingeschnittenen Bach eine feste, gemauerte Brücke mit nur 3 m Fahrbahnbreite. Sie wurde, um Arbeit zu sparen, für die neue Straße benützt, der viel zu steile Karrenweg beiderseits der Brücke durch Serpentinen ersetzt.

Grundriß und Querschnitt der Schlucht, Skizzen 3 und 4, wurden unter Benützung feldmäßiger Pläne des Abschnittsbauleiters hergestellt.

Skizze 3 Grundriss der Schlucht von S. Ubaldo

3. Die ersten Arbeiten im Februar 1918

Der Arbeitsfortschritt im Februar war beängstigend gering. Die Arbeitskräfte bestanden bei S. Ubaldo aus 350 Mann, mit einem Bohrzug mit pneumatischer Bohrmaschine und 40 bosnischen Steinarbeitern der Baufirma Janesch & Schnell mit zwei Ingenieuren; bei S. Antonio waren 200 Mann beschäftigt. Zivilarbeiter konnten nur schwer aufgebracht werden, denn die Stationskommandanten hatten Befehl, alle Arbeitskräfte für den Frühjahrsanbau zu verwenden; die Zusage der Bauleitung, die Leute bei Bedarf jederzeit freizugeben, besserte die Lage.

Bei der von Tovena zur Schlucht führenden Straße fehlte der Serpentinenkopf zwischen den zwei letzten Straßenästen. Der Bau dieses Kopfes und die Fortsetzung der Straße bis unmittelbar zum Fuße der Schlucht in der durch das bestehende Straßenstück vorgezeichneten Richtung bildeten die ersten Arbeiten. Es folgten der Bau einer Werkzeughütte und die Einrichtung einer Schmiede für die Instandhaltung der Bohrwerkzeuge; dann wurden die Tunnels I und V mit Handbohrern und der Tunnel II mit dem pneumatischen Bohrer angebrochen. Schließlich wurden die Fundamente für die Stützmauer zwischen Tunnel I und II und für den Pfeiler vor Tunnel I ausgehoben und vorerwähnte Stützmauer begonnen.

Zu dieser Zeit wurden sämtliche Stützmauern als trockenes Zyklopenmauerwerk, u. zw. von italienischen Zivilarbeitern und jenen der Firma Janesch & Schnell ausgeführt. Obwohl beide Gruppen aus tüchtigen Fachleuten bestanden und die Transportverhältnisse günstig lagen, hat die Tagesleistung je Mann kaum 1 Raummeter Mauerwerk überschritten, so daß eine Arbeitsgruppe von 30 Mann zur Herstellung des 35 m langen Straßenstückes (Skizze 3 südlich des späteren Felssturzes) bei einer durchschnittlichen Höhe des Mauerwerkes von 6 m drei Wochen benötigte.

Die erforderlichen Steine für das letztgenannte Straßenstück wurden in den Arbeitspausen von der nahe entlang führenden Felswand gebrochen; die Hinterfüllung erfolgte gleichlaufend mit dem Baufortschritt der Mauer, so daß für die Maurer selbst ein eigenes Arbeitsgerüst entbehrlich wurde. Ein gewaltiger Felssturz zerstörte einen Teil des neuerbauten Straßenstückes und verlegte auch den alten Weg bei seinem Austritt aus der Schlucht; da er während einer Nacht erfolgte, kam niemand zu Schaden.

Etwa zu gleicher Zeit wurde der Tunnel I in 12 m Höhe über dem Boden beim Schluchtausgang angebrochen; um das hiefür gebaute Arbeitsgerüst nicht zu beschädigen, konnte anfangs nur mit kleinen, seichten Ladungen gesprengt werden. Der Bau des längsten Tunnels V wurde der Firma Janesch & Schnell übertragen.

Zur Vorbereitung der Arbeit für neueintreffende Abteilungen begann man mit der Trassierung des Straßenstückes S. Ubaldo—S. Antonio, und Arbeitsgruppen wurden in die Wälder nächst S. Ubaldo entsendet, um Stangen- und Bauholz für Trassierung und Kleinbrückenbau zu beschaffen. Auf das in Vittorio nach Bestellung erhältliche Schnittholz, das in weiterem Verlaufe für sämtliche Brücken innerhalb der Schlucht verwendet wurde, konnte erst nach Zuweisung von Transportmitteln gegriffen werden. Hier sei vorausgeschickt, daß das Material für die Brücken 1 und 2 (Spannweiten je 9 m, doppelte Sprengwerke) wegen der beschränkten Raumverhältnisse auf dem Bauplatze im Orte Tovena abgebunden wurde.

Ende Februar traf der erste Zement aus Vittorio ein; mit ihm und Sand aus S. Ubaldo hergestellte Versuchswürfel entsprachen gut; dennoch wurde von dem Plan, die früher erwähnten Brücken aus Holz zu bauen, nicht abgegangen, weil es zunächst an Wasser zum Betonieren fehlte, überdies die hierfür notwendigen Verschalungen den freien Durchgang durch die Brückenöffnungen — die zum Verkehr innerhalb der Schlucht dringend benötigt wurden — für längere Zeit verlegt hätten. Letzten Endes bot die Holzkonstruktion den Vorteil leichter Zerstörbarkeit. Ende Oktober 1918 sollen die öst.-ung. Truppen die Straße nach dem Rückzug unbenutzbar gemacht haben.

Skizze 4 Querschnitt A - B

4. Arbeitsfortschritte im März, April und Mai

Im März besserte sich der Arbeitsfortschritt durch allmähliche Zuweisung von mehr als 20 Bohrzügen (pneumatischen und elektro-pneumatischen sowie auch erbeuteten italienischen Bohrmaschinen) zusehends. Während bisher der Wasserlauf in der Schlucht ausgetrocknet war und der einzige Brunnen in S. Ubaldo nur für den Trink- und Kochwasserbedarf genügte, änderte sich die Lage durch den Eintritt einer Regenperiode; Wasser war nun genügend vorhanden, und es konnte mit der Ausführung der Stützmauern in Beton begonnen werden. Neue technische Abteilungen und die erste Autokolonne wurden der Baugruppe zugewiesen. Sie wurde zum Heranführen von Zement und des in Tovena abgebundenen Schnittholzes verwendet.

Eingang des Kehrtunnels I und Mündungen der Tunnels III und IV

Anfangs März erhielt die Baugruppe Befehl, die Straße in drei Monaten fertigzustellen. Neue Baukräfte wurden zugewiesen, alle wurden in der S. Ubaldo-Schlucht eingesetzt, so daß hier zum Schlusse 1400 Mann arbeiteten. Dies erforderte die Einführung von drei Schichten, und zwar eine Tagesschicht von 10 Stunden, einschließlich einer einstündigen Mittagspause, die als Sprengstunde ausgenützt wurde; eine Vormitternachtschicht von 6 Stunden und eine Nachmitternachtschicht von 6 Stunden, so daß bei Einrechnung von weiteren zwei Sprengstunden, während denen auch der Schichtwechsel erfolgen mußte, die volle Ausnützung der 24 Tagesstunden erfolgte.

Die Organisation der Arbeit gewann höchste Bedeutung. Arbeitskräfte und Transportmittel mußten so eingeteilt, bzw. verwendet werden, daß sie sich trotz voller Ausnützung nicht gegenseitig störten. Jede Unterabteilung bekam eine bestimmte, örtlich begrenzte Aufgabe zugewiesen; ihr Kommandant war für die richtige Ausführung der Arbeiten nach den vom Bauleiter erhaltenen Weisungen verantwortlich und hatte für den Schichtwechsel Sorge zu tragen. Nur ausnahmsweise wurde von diesem Vorgang Abstand genommen, so, wenn eine Kompagnie nicht in der Nähe des Arbeitsplatzes untergebracht werden konnte und der übliche Schichtwechsel in diesem Falle die Verpflegung der Mannschaft erschwert hätte. Z. B. wurde der von Tunnel V zur Höhe führende Einschnitt von 2 Infanteriekompagnien, die eigentlich zur Retablierung in den Raum verlegt worden waren, mit je eintägiger Ablösung ausgeführt, wobei nur bei Tag gearbeitet wurde.

Tunnel IV kam etwas verspätet zum Anbruch, weil vorerst die oberhalb der Anbruchstellen locker hängenden Felsblöcke durch Sprengung beseitigt werden mußten. Die Sonntage waren trotz der kurzbefristeten Bauzeit Ruhetage, an denen nur Arbeiten verrichtet wurden, die sich ohne Störung anderer nicht bewerkstelligen ließen.

Laut Trassenplan war zwischen Tunnel III und IV noch ein Tunnel (PT in Skizze 3) vorgesehen und dementsprechend war auch die Sohle des Richtstollens für Tunnel IV bestimmt und ausgeführt worden. Während des Baues des Straßenastes Tunnel III gegen Tunnel IV wurde jedoch an Stelle des geplanten Tunnels PT ein Einschnitt angelegt, dabei eine Verkürzung der Trasse und eine Überschreitung der Höchststeigung von 10 auf 12 % in Kauf genommen. Die erhöhte Steigung von 12% mußte auch auf den Tunnel IV ausgedehnt, d. h. die Sohle des Tunnels teilweise tiefer als jene des unter anderen Voraussetzungen durchgebrochenen Richtstollens gelegt werden. Während in allen übrigen Tunnels vom Richtstollen ausgehend nur nach oben ausgesprengt wurde, traten hier alle Nachteile des umgekehrten Falles zu Tage. Dieser Tunnel führte noch dazu als einziger Bergwasser, so daß alle nach unten gerichteten Bohrlöcher volliefen und daher schließlich die Mannschaft im Abdichten von Ladungen unter Wasser geschult werden mußte.

Beim Sprengen ereigneten sich zwei Unfälle mit tödlichem Ausgang; bei einem brannte die englische Zündschnur rascher ab, so daß sich der erfahrene Sprengmeister nicht mehr decken konnte, beim anderen ging ein Mann trotz Warnung an der Sprengstelle vorüber. Zur Verhütung weiterer Unfälle bei den früh, mittags und abends während je einer einstündigen Arbeitspause (Schichtwechsel) durchzuführenden Sprengungen ordnete das Gruppenkommando unter Berücksichtigung der ungewöhnlichen Zusammendrängung von Arbeits-, bzw. Sprengstellen in der Schlucht folgenden Vorgang an: Jeder Schußmeister durfte mit dem Sprengen in seiner Gruppe erst beginnen, wenn er die sogenannte Sprengkarte übernommen hatte. Diese übergab der Bauleiter nach Räumung der Schlucht durch die Arbeiter an den ersten, untersten Schußmeister, dieser wieder nach Beendigung seiner Sprengungen dem nächst höher arbeitenden Schußmeister usw. Der letzte Schußmeister stellte die Karte dem Bauleiter zurück. Es ereignete sich kein Unfall mehr, obwohl in jeder Pause bis zu 100 Minen gesprengt wurden.

Brücke 1 und 2 vor Tunneleingang I

Gesprengt wurde mit Dynamit Nr. l und mit italienischer, sehr kräftiger Sprenggelatine, vorübergehend auch mit flüssiger Luft, die täglich von Vittorio zugeschoben wurde. Obwohl nahezu so sprengkräftig wie Sprenggelatine, konnte flüssige Luft infolge der beim Straßenbau herrschenden Arbeitseinteilung nur kurze Zeit (bei einem Tunnel) verwendet werden; sie verändert sich im Bohrloch, und ihre Sprengwirkung nimmt langsam ab, demnach sollten die mit ihr geladenen Bohrminen ehestens gezündet werden. Das war in vorliegendem Fall, wo innerhalb kurzer Zeit eine große Zahl von Bohrminen gesprengt werden mußten, nicht möglich. Mit anderen Sprengstoffen besetzte Bohrlöcher konnte man vor der Sprengstunde insgesamt zündbereit bringen und in verhältnismäßig kurzer Zeit abfeuern.

Die Bohrminen wurden zumeist überladen, da man auf diese Weise stark zerkleinerten, zum Betonieren gut verwendbaren Abraum erhielt, der aus den Tunnels über Rutschen unmittelbar auf die Beton-Mischbühnen geworfen wurde. Dort wurde er mit Zement und Wasser gemischt und auf die tiefer liegenden Verwendungsstellen geschüttet. Bis zur Sicherung der erforderlichen Zementmenge für Betonmauern (Grobbeton) wurden die Stützmauern aus Bruchstein in Zementmörtel ausgeführt. Bis Ende März mußte das Wasser zum Betonieren in Butten zugetragen werden; von da an konnte genügend Regenwasser in der Schlucht aufgefangen und in überzähligen Druckluftröhren der Bohrmaschinen zu den Mischbühnen geleitet werden.

Der Bau der zahlreichen Maschinenhäuschen gestaltete sich zuweilen schwierig, da sie bis zum Ende ihrer Verwendung am gleichen Platz stehen bleiben und dabei durch die Sprengungen nicht beschädigt werden sollten. So mußte das Maschinenhaus für Tunnel IV in 12 m Höhe ober dem Boden an eine Felswand angebaut werden.

5. Beleuchtung

Die Arbeitsleistung der Nachtschichten hing nicht zuletzt von einer entsprechenden Beleuchtung des Arbeitsplatzes ab. Zuerst mußte man mit Azetylen-Sturmfackeln das Auslangen finden; ihre grelle, etwas unruhige Flamme warf, da sie nur wenige Meter über dem Boden stand, störende, tiefe Schatten. Besser entsprachen, wenn auch weniger lichtstark, Glühbirnen, die auf mehrere Meter hohen Dreifüßen befestigt und an eine rings um die ganze Schlucht geführte Ringleitung wo immer angeschlossen werden konnten. Am besten bewährte sieh schließlich eine Anzahl elektrischer 35 cm-Scheinwerfer, die entlang des oberen Randes der Schlucht aufgestellt wurden.

Tag und Nacht herrschte in der beengten S. Ubaldoschlucht eine ungewöhnliche Anhäufung von Arbeitern (bis zu 600) und Bauwerken aller Art, wie Schalungen, in Arbeit befindlichen Mauern, Notstegen über unfertige Straßenstücke, Maschinenhäusern und Leitungen aller Art; dazwischen suchten Träger und Tragtierkolonnen mit ihren Baustoffen den Weg — scheinbar ein Wirrnis für den, der vom oberen Rande in die Schlucht blickte.

6. Die Arbeit mit vollen Kräften

Nach Eintreffen genügender Arbeitskräfte konnten schließlich auch alle übrigen Straßenteile in Angriff genommen werden, die bisher nur trassiert und deren Ausführung nur gedanklich vorbereitet worden war. Hierzu wurden fünf Abschnitte gebildet.

A b s c h n i t t  I: Tovena bis zur Schlucht von S. Ubaldo. Bau eines Serpentinenkopfes und Beschotterung der vorhandenen Straße sowie Wiederherstellung der durch Lastautos eingedrückten Kanaldecken in Tovena.

A b s c h n i t t  II: Schlucht von S. Ubaldo bis zum Ort S. Ubaldo.

A b s c h n i t t  III: Von S. Ubaldo bis zum Abstieg zum Tale bei S. Antonio. Ein 60 m langer Damm über eine nasse Wiese erforderte Längentransport. Da der Zutransport von Feldbahnmaterial schwierig gewesen wäre und nur Schubkarren zur Verfügung standen, konnte der Bau nur durch häufiges Ablösen der Arbeiter beschleunigt werden.

A b s c h n i t t  IV: Der Talübergang bei S. Antonio und die Strecke bis 1 km nordwestlich des genannten Ortes, wo neben dem belassenen 3 m breiten alten Fahrweg ein bogenförmiges Straßenstück als Ausweiche und Umkehr gebaut wurde.

A b s c h n i t t  V: Der Fahrweg von S. Antonio bis Trichiana. Strecke von Tovena herwärts gewalzt und mit Ausweichen versehen.

Die Baugruppe war am 26. Jänner 1918 in Tovena eingetroffen und wurde vor Beginn der Junioffensive 1918 abgezogen. Die ersten Truppen, darunter auch schwere Artillerie, passierten die Straße bereits vor der Offensive schon gegen Mitte Juni, doch wurden von einer Unterabteilung noch bis zum 30. Juni Nachbesserungsarbeiten durchgeführt. Der Bau hat an 200.000 Tagesschichten, an Personalaufwand 1,300.000 K und an Sachaufwand 1,200.000 K gefordert.

Daß er in der gestellten Frist vollendet werden konnte, ist vor allem der tatkräftigen Unterstützung durch das 6. Armeekommando zu danken; daneben der Pflichttreue und dem Eifer aller von der Wichtigkeit des Baues überzeugten Mitarbeiter. Für die Erhaltung ihrer Arbeitskraft durch besondere Fürsorge betreffs Verpflegung und geregelte Arbeits- und Ruhezeit das Möglichste zu tun, hat die Bauleitung stets als eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Erfüllung des ihr gewordenen Auftrages betrachtet.

Die Zivilbevölkerung aber drängte sich zu den Bauarbeiten, nicht nur weil sie hier Lohn und Verpflegung erhielt, sondern weil sie seit zwei Generationen vergeblich den Bau dieser Straße erhofft hatte.



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