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Nach Passieren der Fabrikwache führte er uns zur Haltestelle einer Straßenbahn.Dort standen Damen mit Seidenstrümpfen und Pelzen; wir rissen unsere entwöhnten Augen auf.Die Tram kam, bis zu den Tritt- brettern voll von Menschen.Wir wagten uns nicht hinein und sie fuhr ab.Unser Konvoi wurde wütend und beschimpfte uns, wobei er mir einen Stoß in den Rücken gab.Ich wehrte mich dagegen und droh- te ihm mit Meldung.Neuerdings ging er auf mich los.Da mischten sich mehrere Fahrgäste, die auch warten mußten, ein und nahmen für uns Partei.Die nächste Straßenbahn trug uns davon.Die Leute musterten uns aufmerksam, doch nicht feindselig.Bald stiegen wir aus und be- traten eine Fabrik.Sie hieß "Flugow" und war ein Schwesterwerk des "Roten Oktober".Ein russischer Kapitän nahm uns in Empfang und wir beschwerten uns erst einmal gründlich über unseren Führer.Er nahm sich den Mann vor und von da an hatten wir Ruhe. Es galt einen großen Saal, dessen Wände und Decke bereits ausge- malt waren, fertigzustellen.Der Kapitän wünschte einen Blumen- fries als Abschluß der Wände.Er ließ uns ganz ungeschoren arbei- ten.Aus Dachpappe fertigten wir uns eine Schablone an, ich zeich- nete mit Bleistift vor und Ludwig malte mit Farbe hinterher.Unser Chef war ganz zufrieden, wir auch.So kamen wir als erste aus dem Lager in die Stadt. Am nächsten Tag holte uns ein lustiges Mädel ab, es hieß Jelisa- weta und war sich der Wichtigkeit seiner Aufgabe voll und ganz bewußt.Wir unterhielten uns gleich ganz nett und Jelisaweta hatte gar keine Angst vor uns.Das ging so einige Wochen ganz gut, bis wir keine Arbeit mehr hatten.Im Lager wurde eine Maler-Brigade zusammengestellt, wir meldeten uns gleich als Maler und Ludwig wurde Brigadeführer.Alle anderen Mitarbeiter hatten auch keine Ahnung von der Malerei. Der erste Auftrag war das Ausmalen des Lagers.Farben und Pinsel gab es nicht, nur Kalk.Wir zerkleinerten also Ziegelsteine und rieben sie zu Mehl.Aus alten Bastmatten, in denen Fisch ins La- ger geliefert wurde, fertigten wir Pinsel.Büchsen und Kübel fan- den wir auch, da der Fabrikhof mit den Wracks Tausender (*1) deutscher Wehrmachtsfahrzeuge bedeckt war.Je nachdem man dem Kalk mehr oder weniger Ziegelstaub zusetzte, gewann man verschiedene Nuancen einer rötlichen Farbe.Um nicht nur glatte Anstriche zu fabrizieren, nahmen wir alte Lappen, drehten sie zusammen und tauchten sie in die Farbe.
(*1) April 2004: Korrektur eines Versehens durch den Autor: Statt "Tausender" muss es "Dutzender" heissen.
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